Das Wort Pranayama setzt sich im Sanskrit aus „prana“ und „yama“ zusammen. „Prana“ bezeichnet dabei die Lebensenergie, die sowohl als das einströmende Element als auch als die Lebenskraft verstanden wird. Die Vorsilbe „pra“ bedeutet „vor“ oder „für“, und „an“ bezieht sich auf das Atmen, Blasen oder Leben. Pranayama bezeichnet also nicht nur den Vorgang der Atmung, sondern auch die bewusste Kontrolle der Lebensenergie.
Prana ist mehr als nur der Luftstrom, der in unseren Körper gelangt. Es umfasst auch die Aufnahme von Nahrung und das Prinzip des Einnehmens, das die Manifestation einer universellen schöpferischen Lebensenergie darstellt. Dieser Prozess der Aufnahme von „Rohstoffen“, sei es Luft oder Nahrung, führt dazu, dass diese in unserem Körper verarbeitet und verstoffwechselt werden. In diesem Zusammenhang spielt das Konzept von Agni – dem Verdauungsfeuer im Körper – eine zentrale Rolle. Agni ist die Energie, die alle aufgenommenen Stoffe in verdauliche und nahrhafte Elemente umwandelt. Das Wort „ignite“ (englisch: entzünden) stammt übrigens vom Wort „Agni“. So wie das Feuer Asche produziert, entstehen auch im Körper Abfallprodukte, die durch das Prinzip von Apana – die Ausscheidung – wieder aus dem Körper entfernt werden.
Prana steht für die Aufnahme der „Rohstoffe“, die in den Körper gelangen, während Agni deren Umwandlung in Energie symbolisiert, und Apana ist der Prozess der Entsorgung von Abfallstoffen. Die Wirkung von Prana ist dabei nach unten gerichtet, was bei festen und flüssigen Nahrungsmitteln der Gravitation entspricht. Bei Gasen, wie der Luft, ist die Richtung jedoch nach oben ausgerichtet, da die Luft in den Lungen ausgetauscht wird. Durch gezielte Atemübungen lässt sich die Fähigkeit trainieren, den Fluss von Apana zu steuern und in die entgegengesetzte Richtung zu lenken. Ein häufiger Fehler bei Anfängern ist es, während der Ausatmung die untere Körpermitte anzuspannen, als ob man auf der Toilette wäre. Dies ist ein natürlicher Reflex, um alles, was aus dem Körper heraus muss, nach unten zu befördern. Um jedoch Apana nach oben zu lenken, muss die Körperhaltung verbessert und die Aufmerksamkeit auf die Umkehrung der Bewegung gelenkt werden.
Der Begriff Dukha (Leid) kommt aus dem Sanskrit und setzt sich aus „kha“ (Raum) und „du“ (schlecht, schwierig) zusammen. In der yogischen Praxis wird Leid oft mit dem Gefühl von beengtem Raum in Verbindung gebracht, was sich sowohl auf den physischen als auch auf den emotionalen Bereich bezieht. Sukha dagegen bedeutet „guter Raum“ oder „Leichtigkeit“. Um diesen „guten Raum“ zu erfahren, muss im Körper ein freier, zentrierter Raum geschaffen werden, in dem die Energien von Prana und Apana harmonisch fließen können. Dies wird durch das Lösen von Blockaden im System erreicht, was eine der wesentlichen Ziele der yogischen Praxis ist. Wenn Apana richtig funktioniert, geschieht die Einatmung von Prana fast automatisch. Das Loslassen von Unerwünschtem schafft Raum für das Benötigte, was zu einer heilsamen Wirkung führt – ein großer Teil der heilenden Praxis im Yoga besteht daher aus der Abfallentsorgung, wobei etwa 70% des ausgeatmeten CO₂ als Abfallprodukte entsorgt werden.
Atmung ist die Formveränderung der Hohlräume unseres Körpers. Der erste Atemzug eines Neugeborenen ist dabei von besonderer Bedeutung: Er überwindet die Oberflächenspannung des Lungengewebes und markiert den Beginn des eigenständigen Atmens, nachdem das Baby von der Nabelschnur getrennt wurde. Die Entwicklung der Atmung und des Körpers ist ein kontinuierlicher Prozess – so wird die Stabilisation und Mobilisation des Körpers bei Kindern erst mit der Ausbildung der Lendenwirbelsäule, etwa im 10. Lebensjahr, abgeschlossen.
Ein gesundes Leben erfordert ein Gleichgewicht zwischen Prana und Apana, zwischen Atem und Körperhaltung, sowie zwischen Sukha und Dukha. Jeder Volumenanstieg in der Bauchhöhle verändert die Form und das Volumen der Brusthöhle, was die Atmung beeinflusst. Die Ausatmung erfolgt passiv und ohne den Einsatz von Muskelkraft, während die Einatmung eine Streckung der Wirbelsäule und eine Öffnung des Körpers bedeutet. Die Luft strömt stets in Bereiche, in denen ein Unterdruck entsteht – der atmosphärische Druck presst die Luft in den Körper. Die Energie, die wir beim Atmen aufwenden, verringert den Druck im Brustkorb und ermöglicht so die Erweiterung des Körpers und die Entfaltung des Universums, das den entstandenen Raum füllt.
Insgesamt zeigt sich, dass die Atmung weit mehr ist als ein rein physischer Prozess. Sie ist eng mit der inneren Energie, der Gesundheit und dem Wohlbefinden verbunden und bildet die Grundlage für die harmonische Wechselwirkung von Prana und Apana im Körper.